80 Kilometer durch das vom Krieg zerstörte Syrien: »Willkommen in Ihrer zweiten Heimat«
Es ist ein sonniger Frühlingsmorgen, als wir uns auf den Weg nach Manbidsch machen. Die Stadt liegt etwa 80 Kilometer östlich von Aleppo und war vor dem Krieg eines der Zentren der Land- und Viehwirtschaft in Syrien. Etwa 900.000 Menschen lebten in der Stadt und im Landkreis – Araber, Tscherkessen, Turkmenen und Kurden. Das Wasser des Euphrat und die Nähe zu Dscharabulus, einer Grenzstadt zur Türkei, belebten den Handel in der Region.
Wie die in vielen ländlichen Gebieten Syriens folgten auch die Bewohner der Region um Manbidsch einer eigenen Zeitrechnung. Die Bevölkerung ist konservativ geprägt, große Familien, mangelnde Bildung. Das Wort des Imams gilt den Menschen mehr als das der Provinzverwaltung in Aleppo oder gar der Regierung im fernen Damaskus.
Früher dauerte die Fahrt nach Manbidsch über die Schnellstraße via Al-Bab rund 45 Minuten. Doch Al-Bab ist von türkischen Truppen und bewaffneten Gruppen besetzt. Also folgen wir auf der Autobahn in Richtung Rakka einem Fahrzeug der Sondereinsatzkräfte von Aleppo. Drei Soldaten begleiten uns »bis zum letzten Kontrollpunkt vor der Stadt«, hatte das verantwortliche Militärkommando von Aleppo mitgeteilt. »Ab dann wird sich der Militärrat von Manbidsch um Sie kümmern.«
Die Kampfspuren rechts und links der Straße sind unübersehbar. Die meisten Dörfer sind menschenleer. Nur ab und zu leuchtet Wäsche auf den Dächern, ein Zeichen, dass hier noch Menschen leben. Ein großes Elektrizitätswerk liegt etwa 15 Kilometer östlich von Aleppo. Den Türmen und Gebäuden sind die Beschädigungen anzusehen. Es heißt, China unterstütze die Reparatur der Anlage. Die großen Öltanks sind fast vollständig zerstört. Ob dafür Raketen der Aufständischen oder Angriffe der US-Luftwaffe verantwortlich waren, ist unklar. Eine Autobahnbrücke ist zerbombt, also wird der Verkehr durch ein Dorf und über eine Sandpiste entlang eines Bewässerungskanals umgeleitet. Reisebusse und hoch beladene Lastwagen schaukeln waghalsig an dem Kanal entlang, der in eine große Staubwolke gehüllt ist.
Kurz vor der Luftwaffenbasis Kuwairis Scharki biegt die vorausfahrende Militärbegleitung von der Autobahn in Richtung Norden ab und fährt entlang einer schmalen Landstraße um den Flughafen herum. Vier Jahre lang war der Stützpunkt belagert worden, bevor ihn die syrische Armee mit Hilfe ihrer Verbündeten Russland, Iran und Hisbollah aus dem Libanon Ende 2015 wieder freikämpfen konnte. Große Schlaglöcher tun sich auf, streckenweise ist die Asphaltdecke tief zerfurcht und unbefahrbar. Es sieht aus, als sei eine gigantische Egge hindurchgezogen worden, um niemanden passieren zu lassen. Die Fahrzeuge – Reisebusse, Lastwagen, Taxis, Minibusse, Motorräder – weichen auf die Felder aus. Einen Wagen hier auf allen Reifen zu halten erfordert großes Geschick.
Kilometerlang führt der Weg durch verlassene Dörfer. Die schweren Zerstörungen weisen auf heftige Kämpfe hin. Das saftige Frühlingsgrün von Bäumen und Büschen, bunte Blumenmeere, Weinstöcke und Olivenhaine stehen in einem scharfen Kontrast dazu. Die einzigen sichtbaren Menschen sind Hirten, die ihre Schaf- und Ziegenherden über die weiten grünen Flächen führen, und Soldaten der syrischen Armee, die ihre Kontrollpunkte mit syrischen, russischen und örtlichen Stammesfahnen und Blumen geschmückt haben.
»Nach Manbidsch wollen Sie? Herzlich willkommen«, sagt ein Offizier, als er durch das Fenster blickt. Dann reicht er uns zwei Dosen mit köstlichem Saft: »Willkommen in Ihrer zweiten Heimat«, lächelt er und weist Richtung Osten, wo ein provisorisches Ortsschild aufgestellt ist. »Da geht es lang, wenn Sie nicht zu den Türken nach Al-Bab wollen. Gute Fahrt!« Irgendwann setzt die syrische Mobilverbindung aus und wird kurz darauf durch »Eulux«, ein Netz unbekannter Herkunft, ersetzt.
Zwei Stunden später biegt unser Begleitfahrzeug an einem belebten Kontrollpunkt ab und hält. Hier werden wir »an die andere Seite« übergeben, sagt der Soldat und lächelt uns aufmunternd zu, bevor er den Wagen wendet und wieder zurückfährt. Ein großer, stämmiger Mann in Uniform fordert uns auf, ihm zu folgen. Die Straße ist verstopft mit Öltanklastwagen, die sich, wie aus dem Nichts kommend, in beiden Richtungen durch den Kontrollpunkt schlängeln. Der wuchtige Uniformierte rast hupend in seinem Toyota-Pick-up vor uns her. Männer winken die Lastwagen zur Seite, damit der »VIP-Transport« passieren kann. Wenig später fahren wir auf einen Stützpunkt, über dem die russische Fahne und die Fahne des Militärrates von Manbidsch wehen. Die russischen Soldaten blicken nur kurz herüber, als wir aus dem Wagen steigen. Dann werden wir von bewaffneten Männern in einen Raum gebeten. »Herzlich willkommen beim Militärrat von Manbidsch«, sagt ein junger Mann, der sich als Ahmed vorstellt. »Wie lange möchten Sie bleiben?«
Knotenpunkt Manbidsch
Manbidsch ist ein Knotenpunkt für den von der Mafia kontrollierten Ölhandel in Syrien. Wie der Vorsitzende des Militärrates von Manbidsch, Adnan Abu Amdschad, im Gespräch mit junge Welt erklärt, kommen die Fahrzeuge leer und fahren zu den im Nordosten des Landes gelegenen Ölfeldern. Dort werden sie beladen und bringen das Öl über Manbidsch nach Homs in die größte syrische Raffinerie. Es gebe eine Vereinbarung mit der syrischen Regierung über den Abtransport des Öls von Hasaka und anderen Ölfeldern. »Wir müssen den Menschen geben, was wir haben«, so Abu Amdschad, »und das Öl gehört dem syrischen Volk, also haben wir die Vereinbarung, es sicher durch unser Gebiet abzutransportieren.«
Befragt zu dieser Vereinbarung, erläuterte ein Gesprächspartner in Aleppo, der namentlich nicht genannt werden möchte, dass es keine direkte Vereinbarung zwischen dem Militärrat von Manbidsch und der syrischen Regierung gebe. »Es ist eine große Ölmafia, die dort Geschäfte macht.« Das Öl komme aus den Gebieten, die unter der Kontrolle der Dschihadistenmiliz »Islamischer Staat« (IS) oder der Kurden stehen, und werde an Mittelsmänner veräußert. Die wiederum verkauften es an einen reichen Geschäftsmann aus Rakka, der es wiederum über Mittelsmänner an die staatliche Raffinerie in Homs liefere.
»Die syrische Regierung kauft Öl vom IS«, werfen syrische Oppositionelle im Ausland deshalb Damaskus vor.
»Das ist falsch«, betont der Gesprächspartner in Aleppo. Es sei eine Mafia, die daran verdiene, dass die gesamte Infrastruktur der syrischen Ölindustrie – Pipelines, Förderanlagen – von bewaffneten Gruppen besetzt oder von ihnen zerstört worden sei. Die Regierung sei deshalb gezwungen, das eigene Öl zu kaufen, zumal die EU-Sanktionen den Einkauf von Öl auf dem internationalen Markt fast unmöglich machten. (kl)